Kaufst du noch oder lebst du schon? (Sonderfolge)
Shownotes
Darum geht es:
Eine Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen bewussten Konsums und was unser Glücksgefühl damit zu tun hat
Nicht nur im Rahmen unseres Formats genau genommen kommen wir immer wieder auf die Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu sprechen. Denn zum einen können wir alle mit klugen Entscheidungen beim Einkauf etwas Gutes für Mensch und Umwelt bewirken. Zum anderen kann nachhaltiges Konsumieren aber auch aktiv Geld sparen, egal ob durchs eigene Gemüsebeet, Secondhand-Mode, Reparieren (lassen) statt Wegschmeißen und gelegentlich auch mal Verzicht. Aber wenn der Fall so glasklar ist, warum kaufen wir dann immer noch Dinge, von denen wir mehr oder weniger wissen, dass sie unsere Leben nicht maßgeblich bereichern werden? Vermutlich, weil Konsum und Glück in den Köpfen vieler Menschen immer noch untrennbar miteinander verbunden sind. Warum dies so ist und wie wir mit diesen vermeintlichen Widersprüchen leben können, diskutieren wir im Rahmen einer Talkrunde in dieser Sonderfolge unseres Podcasts.
Teilnehmende:
- Dr. Julia Gerhards, Referentin für Verbraucherrecht und Datenschutz (Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz)
- Daniel Kreusser, Lehrkraft für Sozialkunde und Ethik am Schlossgymnasium Mainz und Berater für Bildung für nachhaltige Entwicklung am Pädagogischen Landesinstitut Rheinland-Pfalz
- Laura Muth, Kommunikationsexpertin im Bundesprojekt Wirtschaftlicher Verbraucherschutz (Verbraucherzentrale Rheinland Pfalz)
- Patrick Lohmeier, Moderation und Produktion (Verbraucherzentrale Berlin)
Quellen:
- Interview mit Prof. Dr. Ingo Hamm (Wirtschaftspsychologe) zu Konsum und Glück (Kaufnix.net)
- Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) informiert zum Thema Nachhaltigkeit (bmuv.de)
- Studie 2022 zu nachhaltigem Konsum (McKinsey.com)
- Studie 2022 zu Nachhaltigkeit und Verbraucherverhalten (Deloitte.com)
- Studie 2022 zu Verbraucherbereitschaft zu nachhaltigem Konsum (EY.com)
- Studie 2021 zu konsumbezogenen CO2-Emissionen (Umweltbundesamt.de)
- Das Milliardengeschäft mit den Luxusmarken boomt (Spiegel.de)
genau genommen - Der Podcast der Verbraucherzentralen wird gefördert durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags.
Wir freuen uns über Lob, Kritik und Themenwünsche per E-Mail an podcast@vz-bln.de. Weitere Informationen finden Sie auf verbraucherzentrale.de.
Transkript anzeigen
Das folgende Transkript wurde mit Einsatz von Google Speech-to-Text API und ChatGPT v3.5 erstellt und anschließend auf Richtigkeit geprüft. Manche in der Podcastfolge getätigte Aussagen wurden zugunsten besserer Verständlichkeit gekürzt oder zusammengefasst, ohne deren Aussage zu verändern. Sollten Ihnen inhaltliche Fehler auffallen, mailen Sie bitte Ihre Hinweise an lohmeier@vz-bln.de (Patrick Lohmeier). Vielen Dank!
Patrick Lohmeier: In dieser ganz besonderen Ausgabe unseres Podcasts genau genommen, nämlich in Form einer Talkrunde, beschäftigen wir uns mit der Leitfrage: "Kaufst du noch oder lebst du schon?" Die Ähnlichkeit dieser mehr oder weniger rhetorischen Frage zu dem Werbeslogan eines großen Möbelkonzerns ist natürlich nicht ganz zufällig. Wir sprechen heute über Shopping, jedoch nicht nur über Möbel, Lebensmittel und Kleidung, sondern auch über den Konsum von Dingen, die alles andere als unverzichtbar für unseren Alltag sind. Darüber hinaus möchten wir uns die Frage stellen, welche Art des Konsums einen echten Mehrwert für unser aller Leben darstellt. Was brauchen wir wirklich und von welchen Dingen glauben wir nur, dass wir nicht auf sie verzichten können? Und wenn wir schon um eine Anschaffung nicht herumkommen, was macht uns nachhaltig, also dauerhaft, glücklich? Und was ist sowohl für Mensch als auch für Umwelt nachhaltig gut? Das sind große Fragen, denen wir als Mitarbeitende der Verbraucherzentrale in den meisten Fällen mit einer klaren Haltung begegnen. Es sind aber auch Fragen, die abseits unserer beruflichen Kompetenz und Zuständigkeiten starke Gefühle auslösen können, sehr individuelle Gefühle und Meinungen, die durchaus kontrovers diskutiert werden können. Deshalb haben wir uns für dieses Gespräch vorgenommen, nicht nur Wissen und gute Ratschläge zu vermitteln, sondern auch persönlichen Eindrücken, Widersprüchen, Konsum und Nachhaltigkeit Raum zu geben. Dazu möchte ich meine Gäste herzlich begrüßen. Meine Gäste zum Thema "Kaufst du noch oder lebst du schon? - Gesundes Konsumverhalten!" sind Dr. Julia Gerhards, Fachexpertin für Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale Mainz. Außerdem begrüße ich Laura Muth, zuständig für die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit im Wirtschaftlichen Verbraucherschutz bei der Verbraucherzentrale Mainz. Und last but not least haben wir Daniel Kreusser, Lehrer am Schlossgymnasium Mainz für Sozialkunde und Ethik sowie Berater für Bildung für nachhaltige Entwicklung am Pädagogischen Landesinstitut Rheinland-Pfalz. Hallo!
Patrick Lohmeier:
Gerhards/Muth/Kreusser: Hallo!
Gerhards/Muth/Kreusser:
Patrick Lohmeier: Ein großes Thema. Ich könnte mit einer direkten Frage einsteigen – und das werde ich auch tun. Was war der überflüssigste Kauf, den ihr in den letzten Jahren getätigt habt? Oder vielleicht sogar in den letzten Monaten? Laura, ich frage zuerst dich.
Patrick Lohmeier:
Laura Muth: Ich darf starten. Sehr gut, das ist schon etwas länger her, vielleicht ein oder zwei Jahre würde ich sagen. Aber der unnötigste Kauf, den ich getätigt habe – oder besser gesagt, den ich nicht einmal getätigt hätte sollen –, war wohl ein Grafiktablett. Ich dachte, ich würde es viel nutzen, aber am Ende habe ich es vielleicht an zwei Händen abzählen können, so etwa 6 bis 7 Mal benutzt. Dann habe ich gemerkt, dass das digitale Zeichnen einfach nicht mein Ding ist. Ich greife lieber zu Papier und Stift. Zudem habe ich später in eine andere Richtung studiert, die nichts mit Design zu tun hat. Also landete das Tablet schlussendlich im Schrank. Ich schätze, ich habe dafür etwa 300 € ausgegeben, für nur 6-7 Benutzungen, was in keinerlei Verhältnis stand.
Laura Muth:
Patrick Lohmeier: Nun, in der Reihenfolge ihrer Sitzordnung, eine Frage an Daniel: Was war denn der überflüssigste Kauf, den du kürzlich getätigt hast und den du am meisten bereust?
Patrick Lohmeier:
Daniel Kreusser: Da muss ich kurz nachdenken, weil ich wirklich versuche, beim Einkaufen schon gut zu überlegen, ob ich es wirklich brauche. Aber ich habe so eine Schwäche, Vorräte anzulegen, wie zum Beispiel PC-Spiele, die es im Ausverkauf oder im Ramschbereich gibt, weil sie so günstig sind. Ich denke mir dann, irgendwann, wenn ich Zeit habe, werde ich sie spielen, vielleicht wenn die Kinder größer sind. Ähnlich handhabe ich es auch mit Büchern. Als Fan von Science-Fiction aus den 70ern und 80ern kaufe ich manchmal ältere Bücher, merke aber dann, dass sie nur im Stapel liegen und ich keine Zeit finde, sie zu lesen. Gleiches gilt für einige Brettspiele, die ich gekauft habe und die toll aussehen, aber für die ich bisher keine Zeit gefunden habe, sie auszuprobieren. Es ist nicht leicht, Zeit für Dinge zu finden, die ich vor 5, 6 oder 10 Jahren gekauft habe.
Daniel Kreusser:
Patrick Lohmeier: Julia, gibt es einen Einkauf, den du reumütig rückgängig machen würdest?
Patrick Lohmeier:
Dr. Julia Gerhards: Einen wirklich vollkommen sinnlosen Kauf kann ich nennen. Ich besitze einen Lieblingsrock und habe mir denselben Rock in einer anderen Farbe gekauft – und das auch noch im Sale. Dabei trage ich immer meinen Lieblingsrock und nicht die Variante in einer anderen Farbe. Ich ärgere mich wahnsinnig, dass ich auf diese Marketing-Masche hereingefallen bin. Ja, ich habe ihn letztlich nur wegen des vermeintlich günstigen Preises in einer anderen Farbe gekauft.
Dr. Julia Gerhards:
Patrick Lohmeier: Lasst uns noch ein paar Stimmen von Verbraucherinnen und Verbrauchern einholen. Die Frage lautet: Welchen Kauf haben Sie zuletzt bereut?
Patrick Lohmeier:
Einspieler mit O-Tönen 1: Ich habe mich sehr über zwei Produkte geärgert, die ich in einem Drogeriemarkt gekauft habe. Es handelt sich um einen Smoothie-Maker und einen Pürierstab. Beide Geräte waren schon nach sehr kurzer Zeit technisch defekt. Ich hätte sie zwar zurückgeben können, aber letztendlich landeten sie auf dem Elektromüll. Manchmal frage ich mich, warum ich solche Dinge überhaupt gekauft habe.
Einspieler mit O-Tönen 1:
Einspieler mit O-Tönen 2: Ich habe mir neue Schuhe gekauft, weil sie im Schaufenster toll aussahen. Allerdings bemerkte ich, dass sie zu eng waren. Trotzdem habe ich sie gekauft, und der Verkäufer meinte, ich solle sie zu Hause ausprobieren und bei Bedarf zurückbringen, um mein Geld zurückzubekommen. Allerdings habe ich sie beim Versuch, sie für meine Füße weiter zu machen, kaputt gemacht und nicht zurückgebracht.
Einspieler mit O-Tönen 2:
Einspieler mit O-Tönen 3: Manchmal kaufen wir Dinge, die wir nur kurz nutzen und dann wegwerfen. In meinem Fall habe ich eine Schwimmuhr gekauft, um meine Schwimmleistung zu messen. Doch die günstige Uhr funktionierte nicht gut, und nach dem Umtausch war ich enttäuscht, da sie nicht die Qualität hatte, die ich erwartet hatte. Es ärgerte mich besonders, weil ich wusste, dass das zurückgegebene Produkt wahrscheinlich einfach entsorgt wird.
Einspieler mit O-Tönen 3:
Patrick Lohmeier: Die gekauften Produkte sind sehr unterschiedlich, aber eine gemeinsame Erfahrung ist, dass man oft schon im Voraus ahnt oder sogar weiß, dass man mit dem Kauf wahrscheinlich nicht glücklich wird. Wir haben weitere Verbraucherinnen und Verbraucher befragt und es wurden oft Dinge genannt, bei denen man bereits im Vorfeld vermutet, dass sie nicht zufriedenstellend sein werden. Zum Beispiel wurden Kaffeefilter aus Golddraht, ein Stab fürs Betonmischen, ein Mikrowellen-Eierkocher und ein Designer-Telefon mit nicht austauschbarem Akku genannt. Solche Beispiele verdeutlichen unbedachten Konsum. Wie geht es euch, wenn ihr solche Geschichten hört?
Patrick Lohmeier:
Laura Muth: Es tut mir leid, das zu hören, und ich kann sehr gut mitfühlen.
Laura Muth:
Daniel Kreusser: Ja, ich habe mittlerweile zwei nicht mehr so kleine Kinder. Während ihrer Kindheit habe ich ähnliche Situationen erlebt, vor allem mit billigen Spielzeugen, die oft nach kurzer Zeit nicht mehr funktionierten. Das erinnert mich sehr daran. Letztendlich ist es Elektroschrott.
Daniel Kreusser:
Patrick Lohmeier: Als ich euch gefragt habe, was solche Geschichten mit euch machen, musste ich natürlich auch darüber nachdenken und habe möglicherweise in einigen der Beispiele auch Aspekte erkannt, die auf mich selbst zutreffen. Es sind so typische Situationen, in denen man sich fragt, warum man solche Dinge eigentlich kauft. Besonders in bestimmten Drogerieketten begegnet einem das öfter als in anderen Geschäften. Man denkt sich, "Brauche ich das wirklich?" oder "Könnte ich das vielleicht einfach kaufen?". Diese Art von unnötigem Konsum kommt im Alltag häufig vor und ist problematisch, da sie oft in einem Preissegment stattfindet, wo man denkt, dass die vergleichsweise kleinen Kaufpreise von 20 €, 30 € oder 10 € nicht viel ausmachen.
Patrick Lohmeier:
Dr. Julia Gerhards: Ich finde, dass man diesen Situationen oft am besten entkommen kann, weil es oft um Dinge geht, die einen nicht besonders ansprechen. Ein Beispiel, das mir einfällt, ist, dass ich vor kurzem das Verlangen hatte, mehr Zeit zum Wandern zu haben. Also habe ich Wandersachen gekauft. Ähnlich verhält es sich mit Leuten, die sich zu Silvester vornehmen, mehr Sport zu machen, und dann am nächsten Tag Sportkleidung und eine Fitnessstudio-Mitgliedschaft kaufen. Manchmal konsumieren wir eben, anstatt zu leben.
Dr. Julia Gerhards:
Laura Muth: Und das ist letztendlich das, was uns ständig umgibt, sei es in der Innenstadt, im Internet oder in Gesprächen mit Freunden und Familie. Überall signalisiert man uns, dass wir das Neueste haben müssen, dass wir kaufen müssen. Man fragt uns, ob wir gesehen haben, wo jemand Urlaub macht. Das System vermittelt uns, dass wir Teil davon sind und dass es aufrecht erhalten werden muss, indem wir kaufen.
Laura Muth:
Patrick Lohmeier: Ein gutes Beispiel dafür, wo wir unnötigen Konsum in unserem Leben sehen können, ist der Kleiderschrank.
Patrick Lohmeier:
Laura Muth: Ja, das ist definitiv ein gutes Beispiel. In Deutschland nutzen wir im Durchschnitt nur etwa 20 % unseres Kleiderschranks, der Rest – also 80 % – hängt meist ungenutzt dort. Das mag für einige mehr oder weniger zutreffen. Aber diese Zahl zeigt, dass wir tatsächlich einen Großteil unserer Kleidung nicht regelmäßig tragen. Das ist ein Problem, dem ich mir selbst stellen muss, wenn ich ehrlich bin. Es sind oft die Lieblingshose, das Lieblings-T-Shirt und vielleicht noch ein Kleid – das sind die 20 %, die wir wirklich nutzen. Dann haben wir auch Kleidung für spezielle Anlässe, wie einen Anzug für eine Hochzeit oder andere Outfits für besondere Ereignisse. Aber es gibt auch die Fälle von Fehlkäufen, die Platz einnehmen und letztlich ungenutzt bleiben.
Laura Muth:
Daniel Kreusser: Ja, wenn wir über Zahlen sprechen, möchte ich gerne den wirtschaftlichen Kontext aufgreifen und insbesondere das Bruttoinlandsprodukt (BIP) erwähnen. Das BIP gilt als zentrale Kennzahl für unser vermeintliches wirtschaftliches Wohlergehen oder auch Nicht-Wohlergehen. Ich denke, es ist an der Zeit, dies zu hinterfragen. In der Wirtschaftswissenschaft gibt es bereits starke Ansätze und Vorschläge für das Postwachstum, bei denen wir uns vom BIP-Wachstum entkoppeln sollten. Das BIP ist sozusagen das goldene Kalb, auf das alles ausgerichtet ist, aber wir sollten uns hin zu anderen Indikatoren bewegen, die das Ganze besser ergänzen. Wenn wir das Ganze zu Ende denken, erkennen wir, dass eine Wirtschaft, die auf endlichen Ressourcen beruht – so wie es in der Realität der Fall ist –, nicht endlos wachsen kann. Das versteht jedes Kind. Aber es ist dennoch ein Aspekt, der mich beschäftigt. Wir wissen so viel, aber was bedeutet das tatsächlich für unseren Alltag und unsere politischen Entscheidungen? Es sieht so aus, als wären wir in einer Sackgasse gelandet. Deshalb freue ich mich, dass wir heute über nachhaltigen Konsum sprechen.
Daniel Kreusser:
Dr. Julia Gerhards: Ja, ich finde, das ist genau das, was oft fehlt. Wir erkennen, dass es so nicht weitergehen kann. Das wissen wir irgendwie alle. Aber wenn es darum geht, konkrete Schritte zu unternehmen oder die Produkte und Produktionsweisen zu ändern, gehen die Meinungen auseinander. Ich versuche, alternative Wege zu gehen, aber es fällt mir schwer, genaue Antworten zu finden. Das kann sehr frustrierend sein. Ich denke an die Plastiktüten-Debatte. Alle haben gesagt, dass Einweg-Plastiktüten nicht gut sind, sie wurden verboten, und viele sind auf Mehrwegtaschen oder Jutebeutel umgestiegen. Dann tauchte eine Studie auf, die besagte, dass man einen Jutebeutel 7000 Mal verwenden müsse, um nachhaltiger zu sein als eine Einweg-Plastiktüte. Ich habe mich umgestellt und mich bemüht, aber dann kamen Zweifel auf, dass es eigentlich nichts verändert hat. Mittlerweile ist die Studie umstritten, und es scheint, man müsse den Beutel schon hundertmal nutzen, um einen Effekt zu erzielen. Es ist frustrierend, keine klaren Anhaltspunkte zu haben und immer wieder unterschiedliche Perspektiven zu hören. Als Verbraucherin fühle ich mich dann hilflos und unsicher, was tatsächlich besser ist.
Dr. Julia Gerhards:
Laura Muth: Viele denken wahrscheinlich, dass sie nur ein kleines Rädchen im System sind und sich fragen, welchen Unterschied es wirklich macht, wenn sie eine Plastiktüte nicht nutzen oder wegwerfen.
Laura Muth:
Daniel Kreusser: Ja, dieses Argument hört man oft. Oder auch das Argument beim Urlaub, dass die Flugzeuge sowieso fliegen, auch wenn man selbst nicht drinsitzt. Aber das sind wohl eher Ausreden oder Schutzargumente, um sich von Verantwortung zu entziehen. Wir müssen jedoch kontern und sagen, dass am Ende die Summe aller Teile zählt. Insofern ist jedes einzelne Teil relevant. Wenn wir die Geschichte der Menschheit betrachten oder auch unser eigenes Umfeld, werden wir sicherlich Einzelpersonen identifizieren können, die an wichtigen Stellen Einfluss darauf genommen haben, wie es weitergeht. Ein Einzelner kann also durchaus den Unterschied machen. Wir müssen nicht weit in die Vergangenheit schauen, um Beispiele zu finden. Schauen wir uns Greta Thunberg an – ein erstaunliches Mädchen, das etwas unternommen hat. Oder die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR – auch das ist nicht von selbst geschehen, sondern durch mutige Menschen, die vorangegangen sind. In der Evolutions- und Transformationsforschung gibt es verschiedene Modelle, die besagen, dass Dynamik von einer Keimzelle ausgeht und sich dann immer weiter ausbreitet. Deshalb dürfen wir nicht mutlos sein und denken: Was kann ich schon tun, wenn Saudi-Arabien das 20-fache an CO2 emittiert? Am Ende geht es darum, ob wir mit uns im Reinen sind. Haben wir getan, was wir tun wollten? Können wir unser Leben verantworten? Natürlich tragen wir nur eine begrenzte oder keine Verantwortung für das, was gerade in Saudi-Arabien passiert. Wir sollten nicht so weit schauen, sondern uns auf unser Umfeld konzentrieren und mit kleinen Schritten beginnen. Es gibt das schöne Wort "einfach machen" – und dann werden wir feststellen, dass die richtige Entscheidung für nachhaltigen Konsum oft eine einfache ist, nämlich etwas nicht zu kaufen. Das sollten wir als Befreiung sehen.
Daniel Kreusser:
Laura Muth: Das ist ein Punkt, über den wir diskutieren müssen – wie können wir Menschen dazu bringen, Dinge nicht zu kaufen, und wie können wir es ihnen einfacher machen?
Laura Muth:
Dr. Julia Gerhards: Ja, ich finde es großartig, wenn Einzelpersonen mutig Entscheidungen treffen und für etwas eintreten. Das ist inspirierend. Aber das entbindet andere nicht von ihrer Verantwortung, nicht die Politik, nicht die Hersteller. Für Einzelpersonen ist es manchmal auch zu komplex. Zum Beispiel, wenn ich lese, dass es ab einem bestimmten Alter sinnvoll ist, einen neuen Kühlschrank zu kaufen, der energieeffizienter ist. Diese Information muss mir als Verbraucher von anderen zur Verfügung gestellt werden. Produktionsweisen und -zyklen müssen darauf ausgerichtet sein, dass Verbraucher leichter informierte Entscheidungen treffen können. Ich kann nicht von mir erwarten, dass ich durch das Studium mehrerer Umweltbundesamt- oder anderer Studien herausfinde, welcher Kühlschrank für mich am besten ist. Andere müssen diese Informationen für mich bereitstellen. Da stimmen wir überein.
Dr. Julia Gerhards:
Daniel Kreusser: Ja, Julia, ich stimme dir vollkommen zu. Es ist wichtig, auf mehreren Ebenen voranzukommen. Die Politik muss hier unbedingt beteiligt sein. Ich bin froh, dass die EU mit ihrem Green Deal versucht, Cradle-to-Cradle-Produktionsprozesse, also von der Wiege zur Wiege, zum Standard zu machen. Wir müssen auch an anderen Stellen handeln. Wenn wir sagen, dass sich nur wohlhabende Menschen Bio-Lebensmittel leisten können, müssen wir zeigen, dass es auch möglich ist, mit guten Zutaten und bestimmten Rezepten kostengünstig, gesund und nachhaltig zu kochen.
Daniel Kreusser:
Patrick Lohmeier: Aber ich möchte hier kritisch einhaken: Ist die Idee von nachhaltigem Konsum überhaupt massentauglich, oder sollte dies von politischer Seite institutionalisiert werden? Sollten bestimmte Verhaltensweisen vorgeschrieben oder bestimmte Produkte sogar verboten werden?
Patrick Lohmeier:
Daniel Kreusser: Ich denke schon, aber Massentauglichkeit hängt oft mit Bewusstsein zusammen. Der Mainstream entwickelt sich auch aus solchen Ideen heraus. Es hat viel mit Veränderung des Denkens zu tun.
Daniel Kreusser:
Patrick Lohmeier: Ich möchte hier provokant einwerfen, dass der Mainstream vielleicht einfach gerne konsumiert. Punkt.
Patrick Lohmeier:
Daniel Kreusser: Natürlich, denn dahinter steht die kapitalistische Verwertungslogik. Es basiert alles darauf. Wir könnten anfangen, über Werbung in Städten zu sprechen, höhere Besteuerung oder sogar Verbote in Betracht ziehen. Vielleicht ergibt es mehr Sinn, unsere Lebensarbeitszeit auf mehrere Schultern zu verteilen. Geht es wirklich darum, dass Einzelpersonen maximale Gehälter einstreichen? Ist es wirklich gerechtfertigt, dass jemand das 20-fache oder noch mehr verdient als jemand, der einen anderen Beitrag leistet? Ich denke nicht. Wir müssen zu einer sozialeren Grundlage zurückkehren und Ausgleich finden.
Daniel Kreusser:
Laura Muth: Genau, am Ende stellt sich die Frage, was uns glücklich macht. Macht mich wirklich das größere Auto in meiner Garage, das größer ist als das des Nachbarn, glücklicher? Oder ist es die Zeit, die ich mit meiner Familie im Urlaub verbringen kann, weil ich nicht über den Autokauf nachdenken musste und keinen Kredit aufgenommen habe? Es geht nicht darum, was wir wirklich brauchen.
Laura Muth:
Daniel Kreusser: Stimmt, am Ende muss jeder für sich selbst beantworten, was ihm Glück bringt. Es gibt Studien, die zeigen, dass bei einem Einkommenszuwachs über 60.000 € kaum noch eine Zunahme der Zufriedenheit oder des Glücks zu verzeichnen ist. Das sollte eine wichtige Erkenntnis sein. Auf der anderen Seite zeigen Untersuchungen, dass Menschen mit höherem Einkommen und Verdienst im Vergleich zu ärmeren Menschen weniger nachhaltig leben. Das sollte auch angesprochen werden, denn oft können sie sich weniger nachhaltige Gewohnheiten leisten, weil sie das Geld für Fernreisen oder anderen Luxus haben. Es könnte insgesamt nachhaltiger sein, wenn wir nicht solch immense Unterschiede im Einkommen und Vermögen hätten.
Daniel Kreusser:
Dr. Julia Gerhards: Genau, Menschen, die nur zur Arbeit gehen und einen sehr stressigen Arbeitsalltag haben, neigen oft dazu, sich etwas zu gönnen, um den Stress auszugleichen. Dies führt häufig zu einem erhöhten Konsumverhalten. Das Arbeiten für den Konsum und der Konsum aufgrund des Arbeitsdrucks erzeugen einen Teufelskreis.
Dr. Julia Gerhards:
Daniel Kreusser: Die Frage, ob wir leben, um zu arbeiten, oder arbeiten, um zu leben, ist von grundlegender Bedeutung.
Daniel Kreusser:
Patrick Lohmeier: Schon ein Blick in die Mainzer Innenstadt zeigt, wie uns der Konsum überall umgibt. Überall wird propagiert, dass wir mehr kaufen sollen, hier einkaufen, dort shoppen gehen sollen, Sonderangebote, Verkäufe und Gewinnspiele. Aber nirgends sehe ich ein kleines Schild, das nachhaltigen Konsum fördert.
Patrick Lohmeier:
Daniel Kreusser: Vorhin habe ich auf der Rückseite eines Busses eine Anzeigenserie vom Klimaschutzministerium gesehen. Es hieß irgendwie "Nichts in die Tonne", bezogen auf Lebensmittelverschwendung. Aber das sind nur Tropfen auf den heißen Stein. Ja, staatliche Initiativen gibt es, aber...
Daniel Kreusser:
Dr. Julia Gerhards: Gerade Lebensmittelverschwendung ist für mich ein gutes Beispiel. Ich erinnere mich an Zeiten in meinem Leben, in denen ich etwas mehr Zeit hatte als jetzt. Ich habe nie etwas weggeworfen. Ich habe meinen Kühlschrank geprüft, bin zum Gemüsehändler gegangen, habe Ergänzungen gekauft und daraus Mahlzeiten gemacht. Jetzt mache ich einmal pro Woche einen Großeinkauf, da ich während der Woche keine Zeit zum Einkaufen habe. Doch oft kommt etwas dazwischen, wie Familie und Alltag, und plötzlich bleiben unberührte Salate im Kühlschrank zurück. Der hektische Alltag führt dazu, dass man nicht so handeln kann, wie man möchte. Es braucht einen Ausgleich zwischen Geld verdienen und anderen Aspekten des Lebens.
Dr. Julia Gerhards:
Daniel Kreusser: Ich denke, wir sollten unsere Arbeitswelt so gestalten, dass wir diese Dichotomie zwischen Leben, um zu arbeiten, und Arbeiten, um zu leben, überwinden. Also diese Frage: Lebe ich, um zu arbeiten, oder arbeite ich, um zu leben? Wir sollten versuchen, die Qualität unserer Arbeit zu steigern, sinnvolle Tätigkeiten zu finden und umzusetzen. Tobi Rosswog, der auch nachhaltig unterwegs ist, hat von "Bullshit-Jobs" gesprochen. Wir sollten versuchen, diese überflüssigen Jobs so gut wie möglich zu reduzieren und das tun, was wirklich Sinn macht, auch wenn es vielleicht nicht viel Geld einbringt. Dann hätten wir vielleicht auch mehr Zeit, unseren Wocheneinkauf besser zu organisieren. Es ist anstrengend, mit zehn Tupperdosen in den Supermarkt zu gehen, um unverpackte Produkte einzukaufen. Es ist zwar das, was wir tun sollten, aber es ist auch anstrengend. Es ist machbar, erfordert jedoch Vorbereitung.
Daniel Kreusser:
Laura Muth: Es gibt auch Käufe, die wir nicht wirklich abwägen können, da wir sie erledigen müssen. Lebensmittel sind hier ein gutes Beispiel, da sie grundlegend sind. Aber es gibt auch andere Dinge wie digitale Endgeräte und Internetanschlüsse, die heutzutage eigentlich notwendig sind, um in dieser Gesellschaft teilzuhaben. Bei solchen Produkten können wir uns überlegen, ob wir uns das teure Prestige-Telefon zulegen oder ein gebrauchtes, aufgearbeitetes Gerät wählen. Wir könnten sogar versuchen, es zu reparieren, wenn etwas kaputt ist. Es ist jedoch fast eine Verpflichtung, solch ein Gerät zu besitzen. Das bedeutet, wir haben immer noch Produkte, die wir benötigen. Wie können wir diese erhalten, ohne dabei unnötigen Müll zu produzieren? Ein Beispiel dafür ist das Smartphone. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen in Deutschland mindestens eins besitzen – ich habe keine genaue Zahl im Kopf.
Laura Muth:
Dr. Julia Gerhards: Es sind wahrscheinlich 3 oder 4, die jeder in der Schublade liegen hat.
Dr. Julia Gerhards:
Laura Muth: Genau, das ist verrückt. Die Menge ist unglaublich, wenn man sie hochrechnet.
Laura Muth:
Patrick Lohmeier: Ich fühle mich gerade richtig gut, denn ich habe nur eines.
Patrick Lohmeier:
Laura Muth: Sehr gut! Ich denke, ich habe zwei, wenn ich mich richtig erinnere.
Laura Muth:
Daniel Kreusser: Ja, ich hatte bis vor kurzem auch viele in der Schublade. Aber dann haben wir im Ethikunterricht eine Handysammelaktion gestartet. Dadurch konnte ich die Geräte sinnvoll spenden – diejenigen, die noch funktionieren oder wiederhergestellt werden können, wurden an den Verein gegeben, der sie weitergibt oder kostenlos abgibt. Die anderen werden möglichst gut recycelt. Aber das ist in gewisser Weise auch Augenwischerei.
Daniel Kreusser:
Laura Muth: Genau, das ist der Punkt, den Julia angesprochen hat. Ist es wirklich nachhaltig, wenn ich hier etwas spende? Dann muss ich natürlich auch überprüfen, was mit meinem Smartphone passiert, wenn ich es abgebe. Aber es ist interessant, darüber nachzudenken, wie wir mit Gütern umgehen, die wir auf jeden Fall konsumieren müssen.
Laura Muth:
Daniel Kreusser: Wir müssen politische Produktionsstandards festlegen, die Faktoren wie Wiederverwertbarkeit und Recyclebarkeit bereits in der Produktplanung berücksichtigen. Dies sollte in Zukunft zur Norm werden. Wir haben praktisch keine andere Wahl, wenn wir nicht in die Zerstörung laufen möchten. Derzeit leben wir in einer extremen Überflussgesellschaft. Doch ich habe das Gefühl, dass wir bereits an einem Wendepunkt stehen. In absehbarer Zukunft wird diese Überflussgesellschaft verschwinden, und spätestens dann werden Ressourcen und Rohstoffe nicht mehr so leicht verfügbar sein. Es geht um unser Wohl und unsere Lebensqualität. Hierbei sehe ich jedoch eine gravierende Gerechtigkeitsproblematik aufkommen. Ich befürchte, dass diejenigen, die bereits Geld besitzen oder sich das leisten können – vielleicht sogar militärisch abgesichert sind –, sich dann noch gesund ernähren oder leben können. Das verdeutlicht, dass wir eine gerechtere Weltordnung finden müssen. Es gibt so viele Baustellen und Krisen gleichzeitig, und es liegt in der Verantwortung der Politik, diese anzugehen. Jeder Einzelne von uns ist auch in der Pflicht, denn wir sind Wähler. Wir sollten darüber nachdenken, was uns wirklich wichtig ist und wie unsere Wahlentscheidungen tatsächlich beeinflusst werden sollten.
Daniel Kreusser:
Patrick Lohmeier: Man kann sogar sagen, dass dein Gedanke, Daniel, wenn man etwas ambitionierter denkt, eine bessere Struktur für soziale Gerechtigkeit schaffen könnte. Eine Institutionalisierung, die die exzessiv hohen Gehälter ebenso reduziert wie die prekären Lebenssituationen. Dadurch würden die Menschen auch weniger konsumieren, da es weniger Wettbewerb gäbe. Der Wirtschaftspsychologe Ingo Hamm argumentiert, ein großer Teil des Konsums, besonders der vermeintlich glücklich machende Konsum, entsteht aus dem Wunsch, sich sozial abzuheben und besser dazustehen als der Nachbar. Zum Beispiel durch Geldausgeben: Wir brauchen eben nicht wirklich ein Auto mit 400 PS in der Einfahrt, nur um dem Nachbarn mit dem ebenfalls dicken Auto zu beweisen. Das beeinflusst die Lebensqualität nicht, es geht eher darum, dicker aufzutragen.
Patrick Lohmeier:
Daniel Kreusser: Genau, das liegt in unserer evolutionären Natur.
Daniel Kreusser:
Patrick Lohmeier: Im Kern sagt uns das, dass wir dadurch nicht wirklich glücklich sind, oder höchstens nur kurzfristig.
Patrick Lohmeier:
Daniel Kreusser: Absolut, es ist eine tiefliegende menschliche Neigung, sich mit anderen zu vergleichen.
Daniel Kreusser:
Laura Muth: Ich hätte eine Frage an dich, Julia. Was unternimmt die Politik bereits? Gibt es Vorschriften für Reparierbarkeit und Nachhaltigkeit? Zum Beispiel sind Einwegplastiktüten und -besteck in Deutschland bereits gesetzlich verboten.
Laura Muth:
Dr. Julia Gerhards: Ja, aber natürlich gehen diese Maßnahmen bei Weitem nicht weit genug. Wir sprechen hier tatsächlich über Themen, die noch weit von unserer Realität entfernt sind. Wir sollten uns eigentlich fragen, was die wahren Kosten bestimmter Produkte und Produktionsweisen sind. Doch das funktioniert in der aktuellen Situation nicht. Die vollständige Entkopplung des Preises eines Produkts von seinem wahren Wert basiert auf globaler Ungleichheit. Dinge werden anderswo produziert, so dass wir sie hier für wenig Geld kaufen können. Ob politische Maßnahmen diese Ungleichheit ändern können, ist fraglich. Wenn wir Preise durch Steuern beeinflussen würden, träfe das aufgrund der Gerechtigkeitsfrage auf Widerstand. Die Frage ist, ob es ein Recht auf Luxusgüter gibt. Sicherlich nicht, aber bei Dingen wie Smartphones und Internetzugang, die für gesellschaftliche Teilhabe unerlässlich sind, müssen wir einen Ausgleich finden.
Dr. Julia Gerhards:
Daniel Kreusser: Genauso sehe ich das auch. Wir können nur Fortschritte erzielen, wenn wir international stärker zusammenarbeiten. Die Erkenntnis, dass der Preis die ökologische Wahrheit spiegeln muss, ist eine alte Weisheit. Ich zeige meinen Schülern oft den Text von Christian Leipold aus dem Jahr 1986, in dem aufgeschlüsselt wird, dass die Kosten für ein Produkt auch die Kosten für die Zukunft beinhalten müssen. Wir müssen diese nicht internalisierten Kosten bei der Herstellung einbeziehen, um nachhaltig leben zu können.
Daniel Kreusser:
Dr. Julia Gerhards: Dabei sehen wir ja, und darauf muss dringend politisch reagiert werden, dass Menschen bereit sind, mehr Geld für nachhaltige Produkte auszugeben. Diese Bereitschaft wird jedoch vor allem von Unternehmen ausgenutzt, die vermeintliche Nachhaltigkeitsbemühungen vortäuschen. Alles wird als "grün", "ökologisch" oder "nachhaltig" bezeichnet, ohne dass dahinter tatsächlich etwas steckt. Das ist eine der schlimmsten Entwicklungen, denn Menschen sind bereit, für ein Produkt mehr zu zahlen, wenn sie glauben, dass es tatsächlich umweltfreundlicher ist. Wenn sie dann feststellen, dass sie letztlich nur ausgenutzt wurden und ihre Bemühungen nicht belohnt werden, untergräbt das das Vertrauen in solche Initiativen.
Dr. Julia Gerhards:
Dr. Julia Gerhards: Letztendlich besteht die Gefahr, dass Nachhaltigkeit zu einem bloßen Geschäftsmodell verkommt.
Dr. Julia Gerhards:
Laura Muth: Denn es herrscht auch viel Frustration in diesem Thema, finde ich. Ich persönlich empfinde das genauso. Man setzt sich bemüht für Nachhaltigkeit ein, möchte Rücksicht nehmen, und dennoch scheint es oft so, als würde all das nichts bewirken. Man fühlt sich ausgenutzt. Das ist definitiv ein wichtiges Anliegen.
Laura Muth:
Daniel Kreusser: Absolut, ich denke auch, dass wir nachhaltiger werden können, wenn wir uns selbst ermächtigen, Dinge selbst herzustellen oder zu reparieren. Zum Beispiel könnten wir unser Gemüse selbst anpflanzen oder solidarische Landwirtschaft unterstützen. Auch die Fähigkeit, defekte Gegenstände selbst zu reparieren, trägt dazu bei, unabhängiger von Prozessen zu werden, die über unseren Köpfen ablaufen.
Daniel Kreusser:
Patrick Lohmeier: Aktiv zu werden und selbst zu produzieren kann auch der sogenannten "Verlustaversion" entgegenwirken, wie sie Professor Ingo Hamm beschreibt. Diese psychologische Tendenz macht unglücklich. Sie verbinden Verzicht mit der Angst vor Verschlechterung des Lebensstandards. Und diese Einstellung könnte durch aktives Handeln überwunden werden. Wenn man sagt, dass man selbst Dinge herstellt und nicht einfach nur konsumiert, entkommt man dieser Haltung. Zum Beispiel könnte ich ein kleines Hochbeet aufstellen, wenn ich Zugang zu einem Quadratmeter Garten habe, und mein eigenes Gemüse anpflanzen.
Patrick Lohmeier:
Laura Muth: Das ist interessant, was du sagst. Vielleicht bin ich da etwas unkonventionell, aber für mich ist Verzicht oft sehr befriedigend. Wenn ich bewusst auf gewisse Dinge verzichte, merke ich oft, dass es mich bereichert. Ein gutes Beispiel ist meine Einrichtung zu Hause. Hatte ich vorher viele Dekogegenstände, die ich ständig abstauben musste, fühle ich mich heute befreiter. Wenn ich auf einen Kauf verzichte und dann feststelle, dass ich diesen Kauf nicht bereue, fühle ich mich besser. Ich spare das Geld lieber für ein schönes Essen mit meiner Familie oder für eine Massage.
Laura Muth:
Dr. Julia Gerhards: Das trifft besonders zu, wenn man für sich selbst erkennt, welche Dinge oder Aktivitäten tatsächlich Zufriedenheit und Glück bringen. Statt blind allem hinterherzulaufen, was man haben müsste, geht es darum bewusst zu erkennen, was einen wirklich glücklich macht. In den meisten Fällen sind es nicht so viele materielle Dinge, die uns Freude bereiten, sondern eher die Zeit, die wir für bestimmte Aktivitäten haben oder die Erfahrungen, die wir sammeln können.
Dr. Julia Gerhards:
Laura Muth: Ich habe recherchiert und festgestellt, dass ein durchschnittlicher deutscher Haushalt ungefähr 10.000 Gegenstände besitzt. Das ist im Vergleich zu den 50er, 60er und 70er Jahren eine enorme Steigerung. Damals waren es vielleicht um die 200 Gegenstände oder sogar noch weniger, vielleicht auch in den 1920er Jahren. Auf jeden Fall finde ich es beeindruckend, wie diese Zunahme innerhalb von 70 bis 100 Jahren stattgefunden hat. Wenn man dann betrachtet, wie viele der 10.000 Dinge tatsächlich im Kleiderschrank liegen oder wie viele davon wir wirklich täglich benutzen, wird es sehr begrenzt.
Laura Muth:
Patrick Lohmeier: Das ist wirklich interessant. Oftmals erzeugt das Besitzgefühl ein gutes Gefühl, aber das Gefühl, diese Dinge auch tatsächlich zu nutzen, kann davon abweichen. Besonders bei solchen redundanten Anschaffungen wie einem Smoothie Maker oder einem Betonmischer-Stab, die wir zuvor besprochen haben. Man besitzt es nur für den Fall der Fälle, aber nutzt es dann jahrelang nicht.
Patrick Lohmeier:
Laura Muth: Genau, gerade bei Dingen wie einem Betonmischer denke ich an meine wunderbare Nachbarschaftsgemeinschaft. Wir sind gut vernetzt miteinander, und wenn ich etwas habe, das ich teilen kann, schicke ich es über den Verteiler und biete es anderen an. Das ist eine sehr bereichernde Erfahrung.
Laura Muth:
Daniel Kreusser: Ein weiteres Beispiel, das mir aufgefallen ist, betrifft Bohrmaschinen. Im Durchschnitt bohrt eine Bohrmaschine in ihrem Leben nur etwa 8 Minuten lang. Das hat mich wirklich überrascht, als ich das in Unterrichtsmaterial gelesen habe. Es zeigt deutlich, dass wir viele Dinge besitzen, die nur gelegentlich genutzt werden. Ein ähnliches Muster findet sich auch bei Autos. Diese Fahrzeuge nehmen viel Platz ein, doch wie oft werden sie wirklich genutzt und wie oft stehen sie ungenutzt herum? Für eine nachhaltigere Zukunft müssen wir langfristig eine völlig andere Form der Mobilität entwickeln, die weg vom Individualverkehr führt, hin zu Konzepten wie der Sharing Economy oder Ruf-Taxis. Vielleicht wird es in einigen Jahrzehnten ganz selbstverständlich sein, dass wir von A nach B kommen, ohne dass jeder sein eigenes Auto vor der Haustür stehen hat.
Daniel Kreusser:
Dr. Julia Gerhards: Ich denke, dass es mittlerweile viele Menschen gibt, die bereit wären, sich auf solche Konzepte einzulassen. Es funktioniert bereits für einige gut, aber es gibt auch Konstellationen, in denen es schwieriger ist. Zum Beispiel, wenn jemand das Auto unbedingt für die Fahrt zur Arbeit benötigt, funktioniert es nicht, wenn man das Auto nur stundenweise bei einem Carsharing-Anbieter mieten kann. Es bräuchte dann ein Konzept, bei dem man das Auto auf dem Weg zur Arbeit stehen lässt, jemand anderes nutzt es in der Zwischenzeit, und danach ist wieder ein Auto verfügbar, das man selbst nutzen kann.
Dr. Julia Gerhards:
Patrick Lohmeier: Ich finde es interessant, dass du auf die Emotionalität dieses Themas hinweist. Besonders in den Medien hört man viel über die Aktionen der sogenannten Letzten Generation in Bezug auf den Autoverkehr. Dies löst oft starke Emotionen aus. Ein weiterer Gedanke, der mir dazu einfällt, stammt aus dem Interview mit Professor Ingo Hamm. Er spricht darüber, welche Art von Konsum uns glücklich macht. Er betont, dass die Art von Konsum, die am ehesten nachhaltig glücklich macht, diejenige ist, die unsere Individualität und unseren Charakter unterstreicht. Sie spiegelt quasi unsere Persönlichkeit wider und erweitert sie. In diesem Kontext denke ich, dass für viele Menschen das Auto eine solche Bedeutung hat. Es symbolisiert etwas Greifbares, wie eine dekorative Uhr oder ein Haus. Menschen haben oft eine emotionale Bindung dazu und es könnte schwierig sein, diejenigen, die die wirtschaftlichen Mittel dafür haben, dazu zu bringen, darauf zu verzichten. Und das mit dem Auto als Persönlichkeitserweiterung ist auch so ein spezifisch deutsches Phänomen, möchte ich noch ergänzen.
Patrick Lohmeier:
Dr. Julia Gerhards: Ich denke, es geht auch viel um das Gefühl von Freiheit. Das Auto symbolisiert immer noch dieses Gefühl, dass ich genau dorthin fahren kann, wo ich hin will, wann immer ich will. Es steht irgendwie für etwas Anderes. Es wäre gut, unsere wahren Bedürfnisse und die Dinge, die uns wirklich glücklich machen, zu erkennen. Wie kann ich das erreichen? Vielleicht ist es hilfreich, einmal anders zu rechnen. Wir wissen oft, wie viel Geld am Ende des Monats auf unserem Konto übrig bleibt. Aber es gibt Menschen, die sich intensiver mit finanzieller Freiheit beschäftigen. Vielleicht lohnt es sich, alle Kosten rund um die Arbeit zu berücksichtigen und wirklich auszurechnen, wie viel ich pro Stunde verdiene. Wie lange bin ich unterwegs zur Arbeit? Wie viel Zeit verbringe ich insgesamt mit Arbeiten? Welche zusätzlichen Kosten entstehen, nur weil ich zur Arbeit gehe? Zum Beispiel für spezielle Kleidung. Das geht alles von meinem Verdienst ab. Wenn man diesen wirklichen Stundenlohn berechnet und ihn mit den Preisen der Dinge vergleicht, die man sich leisten will, kann das die Wahrnehmung verändern. Man fragt sich vielleicht: Möchte ich wirklich 3 oder 4 Stunden arbeiten oder vielleicht sogar Tage oder Wochen, nur um das zu bekommen? Das kann helfen, die eigenen Prioritäten anders zu setzen.
Dr. Julia Gerhards:
Patrick Lohmeier: Das ist ein sehr guter Ansatz, den du da ansprichst. Es geht darum, den Wert des Geldes bewusst zu machen, indem man konkrete Rechnungen durchführt, wie du es gerade beschrieben hast. Man stellt die Zeit und das Geld wieder gegenüber. Das eröffnet eine andere Perspektive. Das ist ein wichtiger erster Schritt. Ich habe auch eine ähnliche Erfahrung in meiner Familie gemacht. Mein Sohn ist 10 Jahre alt und interessiert sich für ein bestimmtes Sammelkartenspiel. Dabei fällt mir auf, wie stark der Wert eines Produkts und sein Preis voneinander entkoppelt sind. Ich versuche ihm das immer anhand dieses Kartenspiels zu erklären. Wenn er im Laden ein kleines Booster Pack in der Hand hält, das etwa 5 bis 7 Euro kostet und darin nur vier oder fünf Spielkarten sind, dann steht das in keinem Verhältnis zum greifbaren Wert, der vermutlich nur ein paar Cents aufgrund Produktionskosten und Vertrieb ist. Aber es ist schwer, ihm das begreiflich zu machen.
Patrick Lohmeier:
Dr. Julia Gerhards: Vielleicht, weil die Karten ihn wirklich glücklich machen.
Dr. Julia Gerhards:
Patrick Lohmeier: Ja, es gibt sogar ein Mehrfachpack mit sechs Booster Packs drin für 39,90 Euro. Das muss man sich mal klar machen. Aber da bin ich dann der strenge Vater, der sagt: "Nein, das gibt es einfach nicht."
Patrick Lohmeier:
Laura Muth: Genau, das sind auch Situationen, die ich selbst schon erlebt habe, besonders während meiner Studienzeit. Es gab Zeiten, in denen ich mir solche Diskussionen oder Überlegungen nicht leisten konnte. Es gibt Menschen, die einfach keine Wahl haben. Sie können nicht einfach sagen: "Ich kaufe mir das jetzt." Für sie sieht die Situation ganz anders aus. Es ist wichtig zu betonen, dass auch Menschen mit wenig Geld nachhaltig konsumieren können. Man kann sein Geld gezielt einsetzen und sich beteiligen, zum Beispiel durch Gemeinschaftsgärten oder Bauprojekte, um nachhaltig zu handeln.
Laura Muth:
Daniel Kreusser: Und den Wert von Aktivitäten entdecken, die nicht viel kosten, aber Zufriedenheit und Glück bringen. Es ist wichtig, das wiederzuentdecken und sich von Dingen wie Fernseher und anderen zeitraubenden Aktivitäten zu lösen. Diese kapitalistische Verwertungslogik suggeriert oft, dass unser Wert davon abhängt, was wir kaufen und konsumieren. Es ist wichtig, aus diesem Hamsterrad auszubrechen und eigene Wege zu gehen. Dabei erinnere ich mich an Erich Fromms Buch und seine Ideen. Es regt dazu an, sich vorzustellen, was von uns übrig bleibt, wenn wir uns von all unseren Besitztümern befreien und uns als nackte Menschen sehen. Wer sind wir dann noch? Wie würden uns andere ohne unsere Besitztümer wahrnehmen? Es lohnt sich, über dieses Gedankenexperiment nachzudenken: Was brauche ich wirklich? Was sind verzichtbare oder sogar schädliche Dinge? Dies erinnert mich an die Kategorisierung von Epikur, der vor über 2000 Jahren lebte. Er zeigte uns, wie wir ein einfaches, glückliches Leben führen können. Der Schlüssel ist die Selbstgenügsamkeit. Wir sollten klug darüber nachdenken, welche Dinge wir wirklich benötigen. Manche Dinge verursachen körperlichen Schmerz, wenn sie fehlen. Andere sind schädlich, aber verzichtbar. Dann gibt es noch die nichtigen Dinge, die wahre Freude verhindern, wie zum Beispiel Drogen.
Daniel Kreusser:
Patrick Lohmeier: Eine Frage kam mir gerade in den Sinn, weil du ja Schülerinnen und Schüler in jugendlichem Alter unterrichtest. Wie ist deren Verständnis von Nachhaltigkeit und deren Einstellung zum Konsum? Spielt das eine wichtige Rolle? Kommst du mit Ideen und Konzepten von Epikur und Fromm bei ihnen an, oder lässt sie das eher kalt?
Patrick Lohmeier:
Daniel Kreusser: Ja, das ist eine gute Frage. Das Interesse ist tatsächlich vorhanden. Ich behandele das Thema Epikur regelmäßig in der Ethikklasse der 11. Klasse, insbesondere wenn es um das Thema Glück geht. Die Schülerinnen und Schüler zeigen Interesse, da sie spüren, dass etwas nicht rund läuft. Sie erleben es selbst und bekommen auch über die Medien mitgeteilt, dass etwas nicht stimmt. Doch dann gibt es oft diese Diskrepanz, die wir auch aus der Umweltpsychologie kennen, zwischen dem Verständnis auf intellektueller Ebene und der tatsächlichen Umsetzung. Dies ist eine große Herausforderung, der wir gegenüberstehen. Es geht darum, die wahrgenommenen Anforderungen mit dem tatsächlichen Verhalten in Einklang zu bringen. Wenn wir zum Beispiel über Handys und Handykonsum sprechen, sind die Schülerinnen und Schüler vielleicht interessiert und finden es wichtig und spannend. Aber ich bin ziemlich sicher, dass von den 20 Schülern am Ende vielleicht nur einer tatsächlich seine Eltern so sehr überzeugen wird, dass er sich für eine nachhaltigere Alternative einsetzt. Die anderen werden wahrscheinlich eher gleichgültig bleiben.
Daniel Kreusser:
Dr. Julia Gerhards: Genau, deshalb denke ich, dass es unglaublich wichtig ist, nicht nur auf den Bewusstseinsprozess jedes Einzelnen zu setzen, obwohl das eine wichtige Vorarbeit ist. Aber es ist auch wichtig, klare Anforderungen zu stellen, wie zum Beispiel an die Gestaltung von Smartphones. Sie müssen reparierbar sein, länger haltbar sein und regelmäßige Updates erhalten. Diese Rahmenbedingungen müssen festgelegt werden, denn wir können nicht darauf vertrauen, dass Hersteller diese freiwillig umsetzen oder dass eine ausreichend große Anzahl von Konsumentinnen und Konsumenten dies einfordert.
Dr. Julia Gerhards:
Daniel Kreusser: Auf jeden Fall. Wir dürfen nicht in entweder-oder-Kategorien denken, sondern müssen sowohl als auch betrachten. Zum Beispiel hat das Europäische Parlament kürzlich die Standardisierung von Ladekabeln beschlossen. Das sind Beispiele, bei denen die Politik zeigt, dass es auch anders geht und wir uns von riesigen Mengen an Elektroschrott befreien können. In der Bildungsarbeit ist es wichtig, nicht nur auf Probleme hinzuweisen, sondern auch Handlungsmöglichkeiten für Einzelpersonen und die Politik aufzuzeigen. Ansonsten zeigt sich oft, dass nach solchen Projektwochen, in denen nur über die Probleme gesprochen wird, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eher überfordert sind und resignieren, da sie denken, es sei ohnehin schon zu spät. Das dürfen wir nicht zulassen.
Daniel Kreusser:
Laura Muth: Ja, und es ist auch spannend zu bedenken, dass zu Beginn eines jeden Kaufs die Frage stehen sollte: Was ist wirklich notwendig für mich? Dies geht nicht nur um Selbstgenügsamkeit, sondern um die Reflexion darüber, was ich tatsächlich gerade brauche. Es ist interessant zu erkennen, dass es sich lohnt, am Anfang etwas Zeit für sich selbst zu nehmen, um zu überlegen, bevor man sich in den Kaufrausch stürzt, sei es beim Abverkauf im Supermarkt oder anderswo.
Laura Muth:
Dr. Julia Gerhards: Es ist wichtig, die eigenen Gewohnheiten zu hinterfragen. Es gibt viele Produkte, die wir täglich konsumieren, die eigentlich gar nicht notwendig sind. Ein Beispiel wäre der Kaffee. Menschen, die Kaffee leidenschaftlich genießen, wissen, wie großartig er sein kann. Doch wie viel Kaffee brauche ich wirklich jeden Tag? Wäre es nicht schöner, einen Kaffee pro Tag oder pro Woche bewusst zu genießen, anstatt ihn wie ein Automatismus in sich hineinzugießen?
Dr. Julia Gerhards:
Patrick Lohmeier: Für die meisten Menschen sind eben die Begriffe Verzicht und Überwindung mit etwas Negativem verbunden, während Konsum mit dem Versprechen von Schnelligkeit, Billigkeit und sofortiger Befriedigung lockt. Professor Hamm zitiert Studien, die zeigen, dass es beim Kauf oft nicht so sehr um das Produkt selbst geht, sondern darum, ein vermeintlich günstiges Angebot zu ergattern. Dieses Gefühl ist von großer Bedeutung. Deshalb gibt es auch in unserem Alltag eine ständige Flut von Sale-Schildern, Rabatten, Bonusprogrammen und Gewinnspielen, die dazu verleiten sollen, mehr zu kaufen. Viele Menschen assoziieren Nachhaltigkeit nicht zwangsläufig mit höheren Kosten, sondern mit Verzicht und hohen Ausgaben. Aber Nachhaltigkeit bedeutet nicht immer zwangsläufig teuer zu sein, auch wenn dies immer noch eine Befürchtung seitens vieler Verbraucher:innen ist.
Patrick Lohmeier:
Einspieler mit O-Tönen 1: Ja, und ich denke auch an Bio-Lebensmittel. Jemand mit niedrigem Einkommen kann sich das vielleicht nicht leisten. Aber es gibt auch andere Wege, nachhaltig zu handeln
Einspieler mit O-Tönen 1:
Einspieler mit O-Tönen 2: Es gibt viele Möglichkeiten, nachhaltig zu handeln und sich bewusst zu verhalten. Ein Beispiel sind ökologische Reinigungsmittel, die allerdings oft teuer sind. Aber ich ärgere mich, dass diese Reinigungsmittel so hohe Preise haben und frage mich, wie diese Kosten zustande kommen. Es ist wichtig zu erkennen, dass Nachhaltigkeit auch in anderen Bereichen möglich ist, und dass sie nicht unbedingt teurer sein muss. Man kann bewusst einkaufen und konsumieren, auch wenn man nicht unbedingt viel Geld zur Verfügung hat.
Einspieler mit O-Tönen 2:
Einspieler mit O-Tönen 3: Ich versuche, bewusst einzukaufen, soweit das geht, aber nicht überall. Es gibt Menschen, die Zeit und Geld haben und bewusst einkaufen können. Einige machen daraus ja ihren gesamten Lebensinhalt.
Einspieler mit O-Tönen 3:
Patrick Lohmeier: Die letzte Anmerkung war sicher etwas polemisch, aber ich denke, dass in vielen Menschen die Annahme schlummert, dass Nachhaltigkeit immer Verzicht, hohe Kosten und Arbeit bedeutet.
Patrick Lohmeier:
Laura Muth: Ja, das kann ich teilweise durchaus verstehen. Nachhaltigkeit erfordert definitiv Arbeit. Schon allein die Denkarbeit, die wir hier teilen, erfordert Zeit und Überlegung, wie man nachhaltig konsumieren kann. Das ist sicherlich ein Punkt, bei dem ich zustimmen kann. Es ist aber gleichzeitig auch Arbeit, meine eigenen Ideen zu entwickeln, mein Leben zu gestalten, meine Umwelt und die Gesellschaft, in der ich lebe, mitzugestalten. Letztendlich ist es ein Raum, den ich habe, um zu entscheiden, ob mir das zu viel Arbeit ist oder ob ich einfach konsumiere, ohne darüber nachzudenken.
Laura Muth:
Dr. Julia Gerhards: Ja, es mag Arbeit sein, aber wenn ich beispielsweise Kleidungsstücke secondhand kaufe, sind sie in der Regel günstiger als Neuware. Wenn ich ein gebrauchtes Smartphone kaufe, ist es ebenfalls preiswerter als ein neues Gerät. Es geht hierbei oft um Schnäppchen.
Dr. Julia Gerhards:
Laura Muth: Ich stimme dir zu, dass es mehr Arbeit sein kann, besonders im Kontext von Second-Hand-Plattformen. Es dauert länger, da man nach bestimmten Größen und passenden Teilen suchen muss. Im Vergleich zum Kauf im Geschäft, wo alles einfach sortiert ist und zur Verfügung steht, erfordert der Second-Hand-Kauf definitiv mehr Zeit und Aufwand. Trotzdem empfinde ich es als lohnendes Erlebnis, wenn ich etwas Passendes finde. Ein Einzelstück zu finden, unter vielen anderen, hat einen besonderen Wert. Es gibt ein größeres Erfolgserlebnis, wenn ich auf einem Flohmarkt beispielsweise einen wunderschönen alten Holzstuhl finde. Dieses Erlebnis lässt sich nicht mit dem Einkauf im Laden vergleichen.
Laura Muth:
Dr. Julia Gerhards: Es gibt durchaus Bereiche, in denen der Kauf von Gebrauchtwaren anerkannt ist. Bei uns ist es beispielsweise üblich, gebrauchte Kinderfahrräder zu kaufen und wieder zu verkaufen. Das ist ein durchlaufender Prozess und wird allgemein akzeptiert. Allerdings muss ich hier kritisch ergänzen, dass gerade Kinderfahrräder von renommierten Marken einen vergleichsweise hohen Wiederverkaufswert haben. Im Gegensatz dazu bekommt man für gebrauchte Erwachsenenfahrräder oft nicht mehr viel.
Dr. Julia Gerhards:
Daniel Kreusser: Ich stimme zu, dass Menschen mit höherem Einkommen oft nicht so nachhaltig leben wie diejenigen mit weniger Geld. Das habe ich bereits angesprochen. Wir sollten hier auf einer Metaebene reflektieren und überlegen, wie wir möglicherweise das Steuer- und Einkommenssystem verändern müssen, um diese Unterschiede zu verringern. Ein weiterer Aspekt ist die Entschleunigung, die zur Zufriedenheit beiträgt. Während der Corona-Pandemie hatten wir plötzlich die Möglichkeit, viele Gewohnheiten und Freiheiten zu verändern. Ich hatte die Hoffnung, dass wir diese Erkenntnisse auf den Bereich der Nachhaltigkeit übertragen könnten. Die Herausforderung des Klimawandels ist zwar abstrakt und weniger sichtbar, aber dennoch sollten wir von den Erfahrungen aus der Pandemie lernen.
Daniel Kreusser:
Dr. Julia Gerhards: Im Gegenteil, während der Pandemie war es nicht möglich, zu fliegen, und mittlerweile sind Flugreisen schon wieder auf vor-Corona-Niveau. Sogar noch darüber!
Dr. Julia Gerhards:
Patrick Lohmeier: Vor wenigen Tagen wurde eine neue Studie veröffentlicht, die besagt, dass der Umsatz mit Luxusgütern so hoch ist wie noch nie zuvor, sogar deutlich höher als vor der Corona-Pandemie. Diese Studie bezieht sich auf Bereiche wie Reisen, Autos und ähnliche Dinge.
Patrick Lohmeier:
Dr. Julia Gerhards: Es ist natürlich absurd, dass wir das in einer Zeit sagen müssen, in der es Energiepreiskrisen und ähnliche Schwierigkeiten gibt, bei denen viele Menschen Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. Gleichzeitig erleben wir einen explodierenden Konsum von Luxusgütern. Dies ist wirklich absurd.
Dr. Julia Gerhards:
Daniel Kreusser: Ich denke, wir müssen entdecken, dass Glück und Zufriedenheit auch in anderen Dingen gefunden werden können als nur im Kaufen und Konsumieren. Wir sollten Dinge selbst herstellen und uns dazu befähigen, aktiv zu werden, um diese dann auch mehr zu schätzen. Zum Beispiel das Herstellen von Kleidung kostet Zeit, aber dadurch müssen wir nicht an anderer Stelle so viel arbeiten, um das Geld dafür zu verdienen. Es geht darum, in vielen Bereichen Dinge selbst zu tun und Freude daran zu haben, anstatt alles mit einem Klick nach Hause geliefert zu bekommen.
Daniel Kreusser:
Laura Muth: Ich denke, es ist auch wichtig, dass wir mit anderen Menschen sprechen, uns austauschen und uns fragen, wie wir in Zukunft leben möchten. Wir sind Teil dieser Gesellschaft und sollten diese Möglichkeit nutzen, sie mitzugestalten.
Laura Muth:
Daniel Kreusser: Im Unterricht versuche ich auf jeden Fall nicht moralisierend aufzutreten oder den erhobenen Zeigefinger zu verwenden. Es geht darum, den jungen Menschen zu zeigen, wie die Dinge momentan stehen. Sie haben die freie Wahl, wohin es weitergehen soll, welche Richtung sie einschlagen möchten und welche nicht. Es geht darum, die Verantwortung für ihr Handeln bewusst zu machen, ohne zu sagen "Macht das bloß nicht, das ist schlecht für die Umwelt".
Daniel Kreusser:
Patrick Lohmeier: Mir ist gerade erst vor wenigen Minuten eine Idee gekommen, deshalb weiß ich nicht, ob ich sie klar formulieren kann. Mein großer Wunsch wäre, und ich denke, dies mag utopisch klingen, wie wir es zuvor diskutiert haben, aber man kann ja noch träumen: Mein Wunsch ist, dass Nachhaltigkeit auch im Mainstream der Bevölkerung verankert wird. Sie sollte nicht nur den wirtschaftlich Privilegierten vorbehalten sein, denn sie haben bereits die Möglichkeit, nachhaltig zu konsumieren, wenn sie es wünschen und dazu bereit sind. Es gibt bereits bestimmte Gemeinschaften, wie beispielsweise in Berlin, wo es zum guten Ton gehört, in den Bio-Supermarkt zu gehen, den fair produzierten Kinderwagen durch die Gegend zu schieben und ökologische Kleidung anzuziehen, die auf Demeterhöfen produziert wird. Natürlich bedingt durch den dortigen Wohlstand. Aber das gesamte Thema Nachhaltigkeit sollte auch den Menschen nähergebracht werden, die nicht das Geld haben, teure Produkte zu kaufen. Mein Wunsch ist es, dass die Wahrnehmung verschwindet, die besagt, dass Nachhaltigkeit nur für Reiche zugänglich ist und man sein ganzes Leben darauf ausrichten muss, um sie umsetzen zu können. Es sollte vielmehr verstanden werden, dass Nachhaltigkeit nicht nur Verzicht und höhere Ausgaben bedeutet, sondern auch etwas Greifbares für Menschen ist, die finanziell nicht üppig ausgestattet sind.
Patrick Lohmeier:
Dr. Julia Gerhards: Vielleicht sollten wir damit beginnen, diese Vergleiche zu beenden – wer hat den nachhaltigeren Bio-Kinderwagen oder wer bezieht nachhaltiger produzierte Dinge. Es geht nicht darum, alle aufzurufen, jetzt nachhaltig zu sein, denn es gibt Menschen, die sich die Preise unabhängig von ihrer Entwicklung leisten können. Uns sollte bewusst sein, dass die Reichen, vor allem, für die Situation verantwortlich sind, in der wir uns jetzt befinden.
Dr. Julia Gerhards:
Patrick Lohmeier: Paradox ist ja, dass das Leben einer Person, die sich wenig leisten kann, per Definition nachhaltiger ist als das Leben eines wohlhabenden Menschen. Letzterer könnte theoretisch nachhaltiger leben, kauft aber aus Bequemlichkeit Dinge im Übrmaß, die nicht nachhaltig produziert wurden, nur weil sie gerade billig sind. Dies ist beim weniger wohlhabenden Menschen nicht der Fall.
Patrick Lohmeier:
Laura Muth: Aber es ist auch in Ordnung, sich gelegentlich etwas zu kaufen, von dem man weiß, dass es einen kurzfristig glücklich macht. Solange es in Maßen geschieht, finde ich das akzeptabel. Im Laufe des Lebens sollten wir uns immer wieder fragen, was wir mitnehmen möchten, da wir alle endlich sind.
Laura Muth:
Daniel Kreusser: Was möchten wir hinterlassen?
Daniel Kreusser:
Laura Muth: Was wir hinterlassen möchten. Wir sind alle endlich. In meiner Familie gibt es über zehntausend Dinge, die ich besitze. Wenn ich mich dann frage, ob ich wirklich so an allem hängen sollte und ich denke, "Boah, ich bin so an all das Zeug gebunden", dann überlege ich manchmal, ob ich den Rest meines Lebens wirklich mit diesem Problem verbringen möchte. Was bleibt am Ende? Diese Gedanken helfen mir immer wieder, mich auf das Wesentliche zu fokussieren, meine Prioritäten zu setzen, meine Lebenszeit zu schätzen und die Frage zu stellen: Brauche ich das wirklich? Werde ich als besserer oder glücklicherer Mensch daraus hervorgehen, wenn ich es konsumiere? Oder macht es mich vielleicht sogar weniger glücklich am Ende des Tages? Das ist jetzt vielleicht etwas philosophisch.
Laura Muth:
Patrick Lohmeier: Das ist auf jeden Fall ein guter Gedanke. Ich glaube, wenn es so etwas wie einen Konsens gibt, dann diesen. Wir wollten heute einfach einmal bestimmte Themen ansprechen, ohne konkrete Handlungsempfehlungen zu geben. Eine offene Diskussion führen. Wenn es jedoch etwas gibt, worin wir uns an diesem Tisch einig sind, dann ist es wohl die Notwendigkeit des Hinterfragens des eigenen Konsums, das Überdenken dessen, was uns glücklich macht, und am Ende die ultimative Frage zu stellen: Brauche ich das wirklich? Werde ich ein besserer oder glücklicherer Mensch sein, wenn ich dies jetzt konsumiere? Oder macht es mich möglicherweise sogar am Ende des Tages weniger glücklich?
Patrick Lohmeier:
Dr. Julia Gerhards: Dennoch sollten wir nicht aufhören, Forderungen zu stellen, dass Produkte von sich aus nachhaltiger werden, reparierbar sind und umweltfreundlicher sind. Es sollte uns immer leichter gemacht werden, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Dr. Julia Gerhards:
Patrick Lohmeier: Das sollten wir nicht vergessen, genauso wie der Hinweis darauf, dass die meisten Menschen, die wir befragt haben – einige O-Töne von Verbraucher:innen haben wir ja heute gehört – durchaus betonten, dass sie sich bewusst in bestimmten Lebensbereichen nachhaltig verhalten. Das Ergebnis war jedoch, dass es keiner der Befragten gelungen ist, überall nachhaltig zu leben. Die meisten haben betont, sie kaufen entweder Second-Hand-Kleidung oder Bio-Lebensmittel oder Refurbished-Geräte - aber eben nicht alles und bei jeder Gelegenheit.
Patrick Lohmeier:
Daniel Kreusser: Es gibt auch Studien, die zeigen, dass wenn ich mich in einem Bereich besonders vorbildlich verhalte, ich in anderen Bereichen umso nachlässiger werde. Zum Beispiel kaufe ich nur Bio-Milch, aber dann mache ich jedes Jahr Langstreckenflüge und nutze das als eine Art Alibi.
Daniel Kreusser:
Patrick Lohmeier: Genauso wie der CO2-Ausgleich, den man pro Flug für nur 3 € dazubuchen kann.
Patrick Lohmeier:
Laura Muth: Mensch Daniel, das war doch bereits das Schlusswort!
Laura Muth:
Patrick Lohmeier: Gut, vielen Dank dafür, dass ihr euch heute Zeit genommen habt für diese Diskussionsrunde zum Thema Konsum und Nachhaltigkeit. Wie wir zu Beginn bereits angedeutet haben, haben wir in vollem Bewusstsein einige grundlegende Fragen aufgeworfen, die nicht innerhalb einer Stunde Gesprächszeit beantwortet werden können. Eine Erkenntnis, die sich hier sicherlich herauskristallisiert hat, ist die Tatsache, dass trotz all unserer guten Vorsätze und des Wissens über die ökologischen Schäden unbedachten Konsums die Herausforderung für die meisten von uns, einschließlich der Anwesenden, darin besteht, unser Einkaufsverhalten zu ändern. Wir bemühen uns, geben unser Bestes, und auch die Verbraucherzentrale setzt sich dafür ein. Vielen Dank also an Julia Gerhards, Laura Muth und Daniel Kreusser für eure Zeit. Vielen Dank auch an all diejenigen, die uns zugehört haben. Dankeschön!
Patrick Lohmeier:
Daniel Kreusser: Bleibt optimistisch!
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